Pressespiegel

Interview IGBCE BWS News Ausgabe 22/04 - Winter

„Mir ist es wichtig, Spielräume verständlich aufzuzeigen.“

Wer sich deutsche Gesetzestexte anschaut, merkt gleich: In der Juristensprache ist etwas komplett anders als beim geschriebenen oder gesprochenen Deutsch. Für Jurastudent*innen gibt es sogar Schritt-für-Schritt-Anleitungen, wie man einen Satz von Deutsch auf „Legalesisch“ übersetzt und seinen Umfang verdoppelt, ohne einen sinnvollen Inhalt ...


Keine Chance für plumpe Anmache - NZ 30.01.2013 - Artikel von Clara Grau

Nürnberg - Schmierige Witze, verbale Anzüglichkeiten, körperliche Übergriffe und pornografische Fotos: Auch am Arbeitsplatz sind Frauen sexueller Belästigung ausgesetzt. Die Nürnberger Zeitung sprach mit der Fachanwältin für Arbeitsrecht, Irena Schauer, über Möglichkeiten für Betroffene, sich zu wehren.
Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist kein Kavaliersdelikt. Frauen sollten sich wehren und auch den Betriebsrat informieren, raten Arbeitsrechts-Experten wie die Rechtsanwältin Irena Schauer.

Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist kein Kavaliersdelikt. Frauen sollten sich wehren und auch den Betriebsrat informieren, raten Arbeitsrechts-Experten wie die Rechtsanwältin Irena Schauer.
NZ: Was der Kollege oder Chef lustig findet, hält eine Frau vielleicht bereits für sexuelle Belästigung. Wo sind die rechtlichen Grenzen?

Irena Schauer: Wenn ein Kollege pornografische Bilder aus dem Internet herunterlädt und seine Kolleginnen damit konfrontiert, ist ganz klar eine Grenze überschritten. Auch einen Erotik-Kalender an der Wand müssen sich Mitarbeiterinnen nicht bieten lassen. Der Arbeitgeber ist nach dem Gesetz verpflichtet, dass in seinem Betrieb die Persönlichkeitsrechte der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geschützt werden. Schwierig wird das Ganze, wenn nicht klar ist, ob es sich um sexuelle Belästigung handelt. So etwa der wohlmeinende Kollege, der sich am Kopierer immer ganz eng hinter die Kollegin stellt. Hier muss man den Maßstab eines objektiven Beobachters anlegen. Die Mitarbeiterin sollte am besten Klarheit schaffen und klarmachen, dass sie sich belästigt fühlt. Macht der Kollege trotzdem weiter, ist die Grenze zur Belästigung überschritten.

NZ: Wenn es zum Rechtsstreit vor einem Arbeitsgericht kommt – wer muss die Beweise liefern?

Schauer: Laut den Regeln des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes müssen die Betroffenen Indizien vorlegen, also die Umstände genau erläutern. Wenn diese vermuten lassen, dass eine Belästigung überwiegend wahrscheinlich stattgefunden hat, trägt die Gegenseite die Beweislast.

NZ: Soll man gleich den Chef informieren oder sich erst an Betriebsrat, Gewerkschaft oder Anwalt wenden?

Schauer: Ist man sich unsicher, ob eine sexuelle Belästigung vorliegt, kann eine Anfrage bei einem „neutralen Dritten“ auch für einen selbst eine gewisse Entlastung bringen. Eine kostenlose Beratung bei der Gewerkschaft für Mitglieder oder beim Betriebsrat ist daher nie verkehrt. Der Betriebsrat sollte in jedem Fall informiert werden. In jedem Betrieb müsste es nach den Vorschriften des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes auch eine Beschwerdestelle geben. Liegt die sexuelle Belästigung klar auf der Hand, etwa ein Klaps auf den Po, sollte man für sich selbst möglichst zügig ein Gedächtnisprotokoll anfertigen und sich mit diesem an den Betriebsrat wenden. Nach Rücksprache mit dem Betriebsrat sollte der Chef informiert werden.

NZ: Welche Pflichten hat der Arbeitgeber, wenn sich eine Betroffene an ihn wendet?

Schauer: Der Arbeitgeber hat das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers zu schützen. Er müsste also nach internen Ermittlungen zumindest alles unternehmen, um sexuelle Übergriffe in Zukunft zu verhindern. Dabei kann er den belästigenden Arbeitnehmer je nach Lage des Falles abmahnen, versetzen oder fristlos kündigen.

NZ: Manche betroffenen Frauen stehen in einem direkten Abhängigkeitsverhältnis zu einem Vorgesetzten, der sie belästigt. Gefährden sie nicht ihren Job, wenn sie sich wehren?

 

Schauer: Trotz einschlägiger gesetzlicher Regelungen, kann es vorkommen, dass die Vorgesetzten versuchen, das Ganze zu vertuschen und die Arbeitnehmerin rauszumobben. Deshalb gilt es, sich an den Betriebsrat zu wenden, um einen Rückhalt im Betrieb zu haben. Der Betriebsrat kann gemäß Paragraf 104 Betriebsverfassungsgesetz die Entfernung betriebsstörender Arbeitnehmer verlangen. Prinzipiell sollten die Frauen auf keinen Fall schweigen. Die Erfahrungen, die wir in der Beratung sammeln, belegen, dass Belästiger ihr Verhalten nicht einstellen, sondern meistens ausweiten. Viele nimmt das so stark mit, dass sie krank werden. Dies führt über kurz oder lang zu einer Kündigung.

NZ: Hatten Sie schon einen Fall, bei dem ein Vorgesetzter nach einer aufgeflogenen Belästigung rausgeflogen ist?

Schauer: Ja, in einer Firma wurde ein Störer mit einem Aufhebungsvertrag entfernt. Er hatte mehrere Kolleginnen belästigt. Die Sache kam nicht in die Öffentlichkeit und wurde auch im Betrieb sehr diskret behandelt. Die sexuelle Belästigung ist einfach immer noch ein Tabuthema, auch wenn viele Firmen sich selbst hohe Maßstäbe in Sachen Moral und Gleichbehandlung gesetzt haben.

NZ: Haben die Arbeitsgerichte Ihrer Erfahrung nach in den vergangenen Jahren ihre Rechtsprechung zu dem Thema geändert?

Schauer: Ich denke, dass die Arbeitsgerichte bei dem Thema immer sensibel reagieren. Allerdings bekommen sie vor Gericht ja nur einen Ausschnitt der Vorfälle zu hören. Meiner Erfahrung nach ist es besser, nicht zu lange zu warten, bis man sich gerichtlich wehrt. Wenn man zu lange wartet, wird es schwierig, Aussagen und Handlungen zu rekonstruieren. Natürlich hat auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das im Jahr 2006 in Kraft trat, die Rechtsprechung deutlich geändert.

NZ: Gibt es Branchen, die Ihrer Erfahrung nach besonders betroffen sind?

Schauer: Nein, dies ist wohl ein branchenübergreifendes Problem.